Über 40 Athlet*innen der Polizei fahren zu den Olympischen Spielen nach Tokio. Noch zwei Wochen dann werden diese offiziell eröffnet. Aktuell läuft noch die offizielle Einkleidung durch den DOSB. In diesem Jahr findet diese als Tour durch ganz Deutschland statt. In Köln konnten wir am 26.06.2021 zwei von Ihnen dabei begleiten. Kristin Gierisch ist Dreispringerin und Bundespolizistin. Es sind ihre zweiten olympischen Spiele, schon 2016 war sie in Rio mit dabei. Damals holte sie den 11. Platz. Außerdem ist sie merhfache Deutsche Meisterin. Hier gibt es das Interview von Kristin zum Nachhören. Geführt hat es Giuliano Buccini aus der Geschäftsstelle des DPSK: Was bedeutet es dir mit Hinblick auf die Unterstützung durch die Bundespolizei an den Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen? Das bedeutet mir eine Menge. Die Bundespolizei in Kienbaum hat mir da auch wirklich den Hintern gerettet. Ich war letztes Jahr, nachdem die Olympischen Spiele verschoben wurden, in einem Loch, wusste auch erstmal gar nicht genau, wie es weiter geht. Ich habe dann über die Aufstiegsmaßnahme (hier geht es zum passenden Artikel) einfach gemerkt, dass das Feuer noch in mir brennt. Ich war dann auch mal etwas weg von der Materie, denn es ging nicht um Sport, sondern darum sich mit der eigentlichen Thematik des Berufes, mit der Bundespolizei, auseinanderzusetzen. Da habe ich dann relativ fix gemerkt, dass ich doch noch auf die Bühne der Leichtathletik gehöre. Deshalb war die Polizei eine ganz, ganz große Stütze für mich und die möchte ich auch nicht eintauschen. Was war das gerade im Truck für ein Gefühl, als du das erste Mal die Sachen für Olympia 2021 angezogen hast? Ich habe das schon mal 2016 für die Olympischen Spiele in Rio gemacht. Damals sind wir für die Einkleidung durch eine Bundeswehr-Kaserne gelaufen und haben dann alles mitgenommen. Da konnte man es vor Ort gar nicht so genießen, weil man eh wusste, dass man die Sachen dann nochmal Zuhause anziehen kann. Heute war es eher so, dass man sich mehr reingefühlt hat. Als ich zum Beispiel die Podiumsjacke angezogen hatte, da dachte ich mir: „Wie krass wäre es, mit dieser Jacke eine Medaille um den Hals gehangen zu bekommen.“ Einfach ein sehr intensives Gefühl, weil man auch weiß, dass es nicht nochmal verschoben wird und definitiv stattfindet. Da ist man dann auch richtig angekommen und freut sich einfach drauf. Die Olympischen Spiele stehen durch Corona unter besonderen Vorzeichen. Was ist für dich dadurch der größte Verzicht? Der Support meiner Eltern wird fehlen. Die waren damals in Rio auch mit dabei und es war einfach so schön, dass ich nach dem Wettkampf oder auch der Qualifikation wusste, ich habe da jemanden um mich herum, der weiß, was ich dafür alles getan habe. Und das wird definitiv fehlen. Aber ich glaube dennoch, dass die Japaner sich da etwas Gutes haben einfallen lassen. Die sind in ihrer ganzen Art bei so etwas einfach sehr perfektionistisch. Sodass wir es als Sportler wahrscheinlich gar nicht merken werden, dass nur 10.000 Besucher im Stadion sein werden. Deswegen wird es, denke ich, trotzdem eine runde Sache. Du hast es gerade selbst schon gesagt, in Rio warst du auch mit dabei (bei den olympischen Spielen). Welche Erfahrungen hast du dort gemacht, die du jetzt mitnehmen kannst? (lacht) Nicht nur EIN Paar Spikes mitzunehmen, sondern auch Ersatz dabei zu haben. Das habe ich in Rio gelernt. Und auch, dass man sich von diesem riesigen Stadion, der Atmosphäre und diesen fünf Ringen nicht verzaubern lassen darf. Man sollte sich immer ins Gedächtnis rufen, dass es ein Wettkampf ist und man darin nicht untergehen darf. Deshalb braucht man einen kühlen Kopf, man muss mental stark sein. Ich glaube, olympische Medaillen werden nicht an denjenigen vergeben, der es am meisten verdient hat, sondern an den, der es am meisten will. Das ist das Motto mit dem ich dahin fahre. Letztes Jahr als Olympia ausgefallen ist, wie genau sah da das Loch aus, in das du gefallen bist? Wie war deine Gefühlslage dabei? Und vor allem auch, wie war deine Reaktion, als du wusstest Olympia wird 2021 nachgeholt. Die Meldung wurde bekanntgegeben kurz bevor wir ins Trainingslager gefahren wären, das wurde daraufhin natürlich auch alles gecancelt. Man hat sich halt vier Jahre auf dieses eine Jahr vorbeireitet, also schon seit 2017 war alles daraufhin getaktet. Ich hatte dann eine Schaffenskrise, weil ich in dem Moment einfach nicht mehr wusste: „Was bin ich eigentlich, was tu ich eigentlich hier?“ Ich habe dann wirklich lange gebraucht, um zu begreifen, dass man nicht nur für den Sport lebt, dass es da noch sehr sehr viel drumherum gibt. Aber auch 2016 hatte ich schon alles auf die Spiele ausgelegt. Ich war dann zum Beispiel nicht mehr feiern oder habe abends kein Glas Wein mehr getrunken. Dann wurde einem bewusst, dass die letzten vier Jahre und auch die gefeierten Erfolge, nur noch Nebensache waren. Ich war Zuhause und wollte dann das Haus nicht mehr verlassen, ich habe wirklich stundenlang geweint und das auch tagelang. Irgendwann dachte ich mir dann, das bin ich einfach nicht. Von Natur aus bin ich eher ein fröhlicher Mensch und hatte immer sehr viel Spaß am Leben. Auf einmal wusste ich nicht mehr „Was kommt jetzt? Wo will ich hin? Was mache ich mit diesem Jahr?“ Ich glaube, so ging es sehr, sehr vielen Sportlern. Das hat mir auch geholfen, weil ich dann wusste, ich bin damit nicht allein. Ich habe dann mit meiner Psychologin (Tanja Damaske, ehemalige Speerwerferin) einen guten Weg gefunden, da auch wieder rauszukommen. Wie eben auch schon gesagt, die Bundespolizei hatte einen sehr, sehr großen Anteil daran, dass ich nach Tokio fliegen werde. Aber es war sehr heftig, deshalb bin ich auch froh, dass es nur verschoben und nicht komplett abgesagt wurde. Danke, dass wir so tief in deine Seele blicken durften, ich habe jetzt auch selbst etwas Gänsehaut. Durch Corona stehen die Spiele in Tokio unter besonderen Bedingungen. Laut Umfragen sind auch viele Japaner für eine Absage. Was sagst du dazu? Ich kann die Japaner da natürlich verstehen. Selbst wenn die Spiele jetzt noch abgesagt würden, könnte ich es verstehen. Im Endeffekt muss man auch sagen, es ist und bleibt „nur“ Sport. Wenn ich dann so Bilder aus Indien sehe, dann frag ich mich auch manchmal, worum wir hier kämpfen. Es ist das größte Sportereignis, aber in anderen Ländern kämpft eine gesamte Bevölkerung um ihre Existenz, um ihr Leben, um alles eigentlich. Ich befürworte eine Absage zwar nicht, aber ich kann es gut verstehen, wenn es heißen würde, wir sagen es doch noch ab weil… . Da sollte man sich dann einfach die Frage stellen „Was ist wichtig im Leben?“ So wie ich es im vergangenen Jahr auch getan habe und dann stellt man doch sehr schnell fest, dass es noch viel wichtigere Dinge im Leben gibt, als Sport zu treiben. Deine Disziplin ist Dreisprung. Für mich als Laie hört sich das erstmal nach hohem Verletzungspotential an. Also ich kann wirklich nur jedem empfehlen, dass NICHT ohne Training einfach mal so auszuprobieren. (lacht herzhaft) Stellt euch nicht auf den Sportplatz und macht Dreisprung, auf gar keinen Fall. Man braucht dazu wirklich alles: Schnelligkeit, Kraft, Stabilität und was du am meisten brauchst ist Mut. Aus dem Stehen ist so ein Sprung vielleicht noch gar kein Problem, aber beim Dreisprung verletzt man sich schnell. Eine Zehntelsekunde unaufmerksam und das reicht schon, dann bist du zum Beispiel umgeknickt oder es passiert etwas mit der Hüfte, den Knien oder dem Rücken. Ich bin nicht ohne Grund nach dem Training immer noch von 20:00 bis 21:30 Uhr auch privat noch im Fitnessstudio. Einfach, weil ich weiß, was dazu gehört und was es bedeutet. Es ist tatsächlich heftig. Ich habe aber das große Glück, dass ich noch nie eine richtig krasse Verletzung hatte, zum Beispiel einen Knorpelschaden oder einen Bandscheiben Vorfall. (Auf Holz geklopft) Es gibt mit Sicherheit Disziplinen, die gelenkschonender sind, aber die haben mich nie gereizt. Ich wollte das, seit ich Christian Olsson (ehemaliger schwedischer Dreispringer) 2004 im Fernsehen gesehen habe. Seitdem bin ich davon auch nicht mehr weggekommen. Es ist wie eine Sucht, aber eine gute Sucht. Eine abschließende Frage noch. Worauf freust du dich nach Olympia am meisten? Hoffentlich, wenn es geht, auf eine Party! Mit Freunden abschalten, einfach mal loslassen und das Leben mal wieder genießen. Dann nicht mehr an den Sport denken und auch bitte keine Pandemie mehr. Ich freue mich auf eine wilde Partynacht, auch mit 30 möchte man das noch. Danke an Kristin Gierisch für das Interview. Wir drücken ihr, so wie allen anderen Athlet*innen der Polizei die Daumen. Der Wettkampf im Dreisprung startet am 30. Juli mit der Qualifikation im Olympic Stadium in Tokio. *** Hier geht es zur Übersicht unserer Artikel. ***